Claudio Monteverdi, aus dem VI. Madrigalbuch (1614)
Lagrime d’amante al sepolcro dell’amata
(Tränen des Liebenden am Grab der Geliebten)
Text: Scipione Agnelli
Deutsche Nachdichtung: Daniel Lettgen
Incenerite spoglie, avara tomba,
fatta del mio bel sol terreno cielo,
ahi lasso, i’vegno ad inchinarvi in terra.
Con voi chius’è’l mio cor a’marmi in seno;
e notte e giorno vive in foco, in pianto,
in duolo, in ira, il tormentato Glauco.
Im Staube liegende Hülle, du dürftiges Grabmal,
Errichtet aus meiner Sonne irdischem Himmel,
O weh, ich komme, zu senken dich nun in die Erde.
Gleich dir verschließet auch mein Herz ein marmorner Busen;
Und Tag und Nacht wird leben in Gluten, in Tränen,
In Schmerzen, in Wut der grausam gepeinigte Glaukos.
Ditelo, o fiumi, e voi, ch’udiste Glauco
l’aria ferir di grida in su la tomba,
erme campagne, e’l san le ninfe e’l cielo:
a me fu cibo il duol, bevanda il pianto,
letto, o sasso felice, il tuo bel seno,
poi ch’il mio ben coprì gelida terra.
Verkündet es, Flüsse und Felder, ihr, die ihr Glaukos
Die Lüfte hört peitschen mit Schreien über dem Grabe, ‒
So öd’ nun ihr Felder ‒ die Nymphen ja wissen’s, der Himmel:
Dass mir zur Speise ward Schmerz, zum Tranke die Träne,
Zum Bette, glücklicher Stein, mir dein schöner Busen,
Da meine Liebste bedeckt die frostkalte Erde.
Darà la notte il sol lume alla terra,
splenderà Cinzia il dì, prima che Glauco
di baciar, d’onorar lasci quel seno
che nido fu d’amor, che dura tomba
preme. Né sol d’alti sospir, di pianto
prodighe a lui saran le fere e’l cielo.
Mag des Nachts die Sonne erleuchten die Erde
Und der Mond erstrahlen am Tag, ehe Glaukos
Wird lassen das Küssen und zärtlich Verehren des Busens,
In dem einst die Liebe genistet und der nun vom Grabe
Beschwert wird. Und nicht nur mit Seufzern, sogar mit Tränen
Stehen ihm großzügig bei das Wild und der Himmel.
Ma te raccoglie, o ninfa, in grembo’l cielo.
Io per te miro vedova la terra,
deserti i boschi e correr fiumi il pianto;
e driadi e napee del mesto Glauco
ridicono i lamenti, e su la tomba
cantano i pregi de l’amato seno.
Dich nimmt, o Nymphe, in seinen Schoß auf der Himmel.
Ich seh’ verwaist durch dein Entschwinden die Erde,
Verödet die Wälder, die Ströme geschwollen von Tränen;
Dryaden, Napeen lassen des traurigen Glaukos
Jammer als Echo erschallen, und über dem Grabe
Das Preislied stimmen sie an dem lieblichsten Busen.
O chiome d’or, neve gentil del seno,
o gigli de la man, ch’invido il cielo
ne rapì, quando chiuse in cieca tomba,
chi vi nasconde? Ohimè, povera terra,
il fior d’ogni bellezza, il sol di Glauco!
Ah muse, ah muse, qui sgorgate il pianto.
O goldenes Haar, wie zarter Schnee du, o Busen,
Hände, wie Lilien so weiß, ‒ was all mir der Himmel
So neidvoll geraubt, verschlossen im düsteren Grabe:
Wer verbirgt euch? O weh, zu staubiger Erde
Zerfall’n aller Schönheit Blüte, die Sonne des Glaukos!
Ach Musen, ihr Musen, ach hier vergießt eure Tränen!
Dunque, amate reliquie, un mar di pianto
non daran questi lumi al nobil seno
d’un freddo sasso? Ecco l’afflitto Glauco
fa rissonar »Corinna« il mar e’l cielo;
dicano i venti ognor, dica la terra:
»Ahi Corinna, ahi Corinna, ahi morte, ahi tomba.«
Cedano al pianto i detti, amato seno;
a te dia pace il ciel, pace a te, Glauco,
prega onorata tomba e sacra terra.
Wie sollten nun nicht, geliebte Reliquien, von Tränen
Ein Meer vergießen die Augen am edelsten Busen
Eines kalten Gesteins? So hört denn, wie Glaukos’
Untröstliche Trauer zum Tönen bringt Meere und Himmel:
»Corinna«. Allzeit rufe der Wind wie die Erde:
»Corinna, Corinna, o weh ‒ ach tot, ach im Grabe!«
Zerfließet zu Tränen, ihr Worte! Lieblichster Busen,
Dir gebe Frieden der Himmel! Friede dir, Glaukos!
Erbitte ein würdiges Grab ihr: geheiligte Erde!
(Die Übersetzung versucht, der ausgeklügelten formalen Künstlichkeit des italienischen Gedichts ein deutsches Äquivalent zu geben. Bestehend aus sechs Strophen zu je sechs Versen, ist die Sestina mit der besonderen poetischen Schwierigkeit behaftet, dass ihre Verse in allen Strophen auf die gleichen Reim- und Reizwörter enden – Glauco/Glaukos, tomba/Grab, cielo/Himmel, terra/Erde, pianto/Träne, seno/Busen –, die freilich jeweils in anderer Reihenfolge und anderen Satzzusammenhängen erscheinen, bevor sie sich in den drei Schlussversen nochmals verdichten. Dieses Paradebeispiel einer manieristischen Lyrikform zwingt den Dichter ‒ sowie hier auch den Komponisten ‒, immer wieder das Gleiche zu sagen; Reiz und Herausforderung bestehen darin, es immer wieder anders zu sagen.)
Claudio Monteverdi
Vespro della Beata Vergine (1610)
»Marienvesper«
Programmhefttext zur Aufführung am 8. Dezember 2012
in St. Hippolytus, Troisdorf:
Text und Übersetzung:
Johann Sebastian Bach
Johannespassion (1724)
Programmhefttext zu den Aufführungen am 22./23. März 2014
(St. Hippolytus, Troisdorf / Immanuel-Kirche, Köln-Stammheim)
So hört denn,
wie Glaukos’ untröstliche Trauer zum Tönen bringt Meere und Himmel: ...
Dic, quaeso, mihi:
quae est ista ...
replet laetitia
terras, caelos, maria?
Maria ...
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Betrachte, meine Seele ...